HINTER DEN MAUERN VON INSTITUTIONEN UND ASHRAMS ODER UNABHÄNGIGE SPIRITUALITÄT?

(08.07.2019)

 

Jede Zeit benötigt neue Perspektiven und Ausformungen der Spiritualität. Heute erscheint hier zeitaktuell zum Beispiel eine größere Unabhängigkeit gegenüber Gruppen, religiösen Einrichtungen und Bekenntnissen benötigt zu werden, damit diese keine Mauer bilden zwischen dem Menschen selbst und seiner erwählten spirituellen Quelle.

Daraus entsteht in meinen Augen erst in Wahrheit auch die heute so dringend benötigte Unterscheidungsfähigkeit und Orientierung zu aufbauenden* oder destruierenden* Kräften.

Geht denn das nicht auch innerhalb einer Institution oder eines Ashrams, ohne dass es hier zu Mauern kommt, könnte hier eine Frage lauten? Spiritualität ist einem jedoch wohl weder in die Wiege gelegt, noch gibt es sie in einem Supermarkt zu kaufen. Daraus entsteht automatisch die Frage nach einem Lernfeld, in dem es auch Lehrer und Schüler gibt. Gerade auf dem Gebiet der Spiritualität bestehen jedoch die größten Missverständnisse bezüglich der Begriffe von „Spiritualität“ und auch von dem was der Einzelne unter „spirituellem Lehrer“ oder einem „spirituellen Lehrer - Schüler – Verhältnis“ versteht.

Benötigt es denn überhaupt einen spirituellen Lehrer, könnte hierzu eine weitere Fragestellung lauten? So wie ich selbst das Verständnis dazu entwickelt habe, ist Spiritualität ohne spirituellem Lehrer im wahrsten Sinne des Wortes nicht denkbar bezüglich der Evolution des Menschen in christlichem Sinne, wenn Spiritualität als das heilsame, geistige und auch als das schöpferische, zu einer Höherentwicklung begabte Zentrum jedes Menschen gesehen wird. Spiritualität äußert sich hier in der Originalität des Wortes der spirituellen Quelle selbst. Hierzu ist vielleicht Paulus immer noch mit seiner spirituellen Perspektive der menschlichen Entwicklung unerreicht, wenn er sagt:

 

Wenn es einen natürlichen Leib gibt, so gibt es auch einen geistlichen. So steht auch geschrieben: „Der erste Mensch, Adam, wurde zu einer lebendigen Seele, der letzte Adam zu einem lebendig machenden Geist.““ (1 Korinther 15,45-47)

 

Hier hat wohl diese spirituelle Persönlichkeit eine Zielvorstellung zum Wesen des Menschen getätigt, die bis heute vielleicht unerreicht ist. Zum Beispiel kommt die Erfindung einer neuen Sache vom Erfinder selbst. Genauso kommt die spirituelle Substanz einer spirituellen Schrift von dem Schriftsteller dieser Schrift als eine in ihm eigene Kapazität. Dies ist zum Beispiel beim Johannesevangelium der Apostel Johannes. Wenn nun, wie in der Exegese festgestellt wird, es sich hier um eine „Schule“ handelt, so heißt dies unter anderem, dass der Apostel Johannes Schüler hatte. Damit könnte vielleicht in einem etwas weitläufigeren Vergleich, der Apostel Johannes mit dem vielleicht in der heutigen Zeit gebräuchlicheren Begriff als „spiritueller Lehrer“ bezeichnet werden.  Nach Rudolf Steiner gibt es 3 Einweihungsstufen analog zu den Seelenkräften, die imaginative (Geistselbst), die inspirative (Lebensgeist) und die intuitive (Geistesmensch) Einweihungsstufe aus denen Eingeweihte sprechen können.  Die drei Seelenkräfte sind das Denkens, das Fühlen und das Wollen:

 

„Man kann nur entwickeln, was als Anlage da ist. Drei Kräfte sind im Menschen vorhanden: Das Denken, das Fühlen und das Wollen. Diese müssen beim Eingeweihten auf das Höchste entwickelt werden.“ (1)

 

 Als ein Beispiel zum Studium benannte er die Evangelisten, die, abgesehen vom Evangelisten Matthäus, in diesen drei unterschiedlichen Einweihungsstufen eingeweiht waren. Matthäus ist danach sogar in einer                               4. Einweihungsstufe eingeweiht in einem wieder etwas anderen Bezug gesetzt vom Referenten. (1) Danach ist es jedem Menschen möglich, die Plausibilität spiritueller Gedanken auch dann zu erfassen, wenn er sie noch nicht selbst aus den geistigen Welten geben kann:

 

Es gibt eine Einsicht, die auf Wahrheitsgefühl und klare, gesunde, allseitig urteilende Vernunft gebaut ist in diese Lehren, auch wenn man die geistigen Dinge noch nicht schaut. Man muss die mystischen Erkenntnisse zuerst lernen und sich eben gerade durch dieses Lernen zum Schauen vorbereiten.“ (2)

 

 In seinen Vorträgen beschreibt Rudolf Steiner weiterhin, dass die Menschheit selbst in ihrer weiteren Evolution zum weiteren Erkennen dieser Wahrheitsebenen voranschreitet. (1)

Bezüglich der Evolution des Menschen auf Geistigem oder spirituellem Gebiet, sind im integralen Yoga von Sri Aurobindo in vielfacher Weise großartige Perspektiven der menschlichen Entwicklung aufgezeigt:

 

„Die fortschreitende Selbst-Manifestation der Natur im Menschen, die man in moderner Sprache seine Evolution nennt, muss notwendig von drei aufeinanderfolgenden Elementen abhängen: von dem, was sich bereits entwickelt hat, von dem, was sich dauernd im Zustand bewusster Evolution befindet, und von dem was erst entwickelt werden muss. Das Letztere kann (wenn auch noch nicht auf die Dauer, so doch gelegentlich) schon zur Entfaltung gekommen sein. Vielleicht existiert es auch schon mit einer gewissen Regelmäßigkeit der Wiederholung in primitiven oder in anderen schon weiter entwickelten Gestaltungen, vielleicht sogar in einigen wenn auch seltenen Menschen, die der höchstmöglichen Verwirklichung unseres gegenwärtigen Menschseins nahe sind.“ (3)

 

Entwicklung lässt sich bei Heinz Grill in seiner Philosophie des „reinen und freien Gedankens“ entdecken, hier im Zusammenhang mit dem Ich-Selbst und der Bhagavat Gita beschrieben, als eine Lobpreisung des reinen Gedankens, für den in dieser Sichtweise die spirituelle Persönlichkeit Krishna selbst steht:

 

„Die Bhagavat Gita spricht in einer großen Zahl von rhythmischen Versen über das Ich-Selbst. Häufig erscheint die Gestalt Krishna in der unmittelbaren göttlichen Figur und verwendet das Wort „Ich“. Dieses Ich oder Selbst aber ist nicht auf eine äußere Person, sondern auf die konzentrierte Einheit mit dem Geist bezogen. Der Geist selbst jedoch ist wieder der reine Gedanke, frei von Wünschen und auch frei von Gefühlen des Herzens, und dadurch ist er der direkte Träger des Ich. Es würde ohne diesen Geist durch den Gedanken keinen Träger des Ich geben. Atmany eva atmana, durch das Selbst im Selbst oder durch den Geiststoff erkennt der Mensch die Seligkeit des Geistes.“ (4)

 

Spiritualität zu lehren oder lernen zu wollen wie wir uns diesbezüglich weiter entwickeln können, führt zu der wichtigen Frage der Erforschung und Originalität einer spirituellen Quelle und ist daher ein wichtiger Aspekt der Freiheit des Menschen selbst und damit ein Menschenrecht.

 

*Eine Mauer zwischen dem Individuum und der spirituellen Quelle, zum Beispiel zwischen Gläubigem und Christus, verhindert eine objektive Wahrnehmung zu dieser. Die Problematik mit weiteren projektiven oder sogar destruierenden Kräftewirkungen entsteht jedoch meines Erachtens bereits dann, wenn auf Grund von Beleidigungen die Freiheit einer neutralen bewertungsfreien Wahrnehmung zu einem anderen verletzt wird, weil ich mich ja auf der richtigen und der andere sich auf der falschen Seite befindet und Sekte ist. Ein Gegenbild wurde hierzu von Heinz Grill in einer Friedenskarte aufgezeigt mit dem Mut, den anderen in seiner Wirklichkeit zu sehen (www.heinz-grill.de, Archiv November 2017). Eine unabhängige Spiritualität sehe ich hier als grundlegend dafür an, aufbauende oder destruierende Kräftewirkungen auch in ihren ursächlichen Zusammenhängen und in ihren Folgewirkungen zu erkennen.

 

(1) Das Johannesevangelium, Vorträge in Stockholm, 3. Januar 1910 von Rudolf Steiner,  Seite 19 und Seite 17 ff

(2) Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten, Rudolf Steiner, Seite 18, TB 24. Auflage

(3) Die Synthese des Yoga, Kapitel: Die drei Stufen der Natur, Sri Aurobindo, Seite 18

(4) Die Heilkraft der Seele, Heinz Grill, Seite 36

 

 

Allgemein bestätigt die Kirche in ihrer Geschichte, dass sie unzählige Verfolgungen wegen eines neuen Denkansatzes oder einer neuen Philosophie von Personen getätigt hat.

 

* Auszug aus einem theologischen Gutachten:

 

4.2.1. Meister Eckhardt, - sein Leben als Beispiel einer Verfolgung durch die Kirche wegen einem neuen Inhalt

 

Meister Eckhardt wird von vielen als der größte Mystiker des Mittelalters bezeichnet. Einen wesentlichen Inhalt, den er lehrte, war die Unmittelbarkeit der Gottesbeziehung:

 

„Das Christentum des Kölner Meisters ist mit der Aussage: „Auch ohne Mittel kann er kommen in das Herz“, der kühnste Vorstoß zum Unmittelbaren. O Gott, möchte man jubelnd sagen, wie unendlich groß ist dieser Durchbruch zum unmittelbaren Gottesverhältnis….“ (22)

 

Walter Nigg beschreibt ebenda den Leidensweg von Meister Eckhardt, wie auf Grund von Neid, Missgunst und Machtspielen, dies besonders unter dem Klerus der Kirche selbst, die kirchliche Inquisition ins Rollen gebracht wurde gegen den Mystiker, oder offiziell in der Kirche: Gegen den Ketzer. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde er mit einer Verdammungsbulle des Papstes belegt. Dies verursachte großen Schaden, wie der Autor andeutet, da die Reformatoren nichts mehr von Meister Eckhardt und seiner Mystik wussten. Es waren also, kirchengeschichtlich nachweisbar, sogar häufig neue Inhalte von Personen, die für die Kirche Gründe darstellten, gegen diese Personen mit spezifischen Formen von Verfolgung auszuschreiten.